Ullrich Eitel - Ehrenpreis für das Lebenswerk 2023
Ullrich Eitel
Ein Leben für die Tapete
In der Tapetenbranche gibt es nicht viele herausragende Persönlichkeiten. Eine davon ist Ullrich Eitel, Geschäftsführender Gesellschafter der Marburger Tapetenfabrik in fünfter Generation. Er stärkte mit seinen kreativen Ideen und seinem Engagement nicht nur das eigene Unternehmen, sondern beeinflusste damit auch den gesamten Wirtschaftszweig. Für sein Lebenswerk erhält er den Heimtex Star 2023 Ehrenpreis – gerade rechtzeitig, bevor er den Stab an Sohn Paul abgibt.
Wenn Ullrich Eitel über Tapeten spricht, ist er in seinem Element. Sie prägten den Inhaber der Marburger Tapetenfabrik von Geburt an bis heute. Schließlich ist das Unternehmen bereits in fünfter Generation in Familienbesitz. Johann Bertram Schaefer legte 1845 mit einem Geschäft für Innenausstattung in Marburg den Grundstein für das Werk, das nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kirchhain umzog.
Vom Vater erbte Ingenieur Ullrich Eitel das technische Interesse, von der Mutter das Kunstverständnis. Eine ideale Kombination also, die der 74-Jährige mit einer gehörigen Portion Neugier, Erfindergeist und Risikobereitschaft anreicherte. So gelang es dem Tüftler, das als Kreativschmiede bekannte Unternehmen mit immer neuen optisch sowie technisch reizvollen Wandbelägen weiter nach vorn zu bringen und Tradition mit Innovation zu verbinden.
Jüngstes von drei Kindern
Als Eitel sich an seine frühen Jahre erinnert, weht ein Hauch von Wehmut durch sein Gesicht. „Ich hatte eine sehr schöne Jugend“, schwärmt der am 26. Januar 1948 als jüngstes von drei Kindern Geborene. Aber es habe nie ein reines Privatleben gegeben. Immer wieder seien unternehmerische Konflikte auch in die Familie hineingetragen worden.
Die gesamte Familie setzt sich für den Erfolg der Marburger Tapetenfabrik ein: Ullrich und Kerstin Eitel sowie ihre Kinder Paul, Katharina und Constanze.
„Stets ging es um die Frage: Wie läuft es geschäftlich ?“, erzählt Eitel, dessen Mutter Hilde als Mehrheitsgesellschafterin selbstverständlich an der Entfaltung der Tapetenfabrik interessiert war. Während sie als Kunstliebhaberin großen Einfluss auf die Designs der Tapeten nahm, Kontakt zu zahlreichen Künstlern unterhielt und seit den 50er Jahren Kunstwerke sammelte, kümmerte sich Vater Walter in erster Linie um die Technik und Weiterentwicklung des Tapetendrucks. Zuständig für Produktion sowie Forschung und Entwicklung brachte er zahlreiche Neuheiten auf den Markt wie 1965 die expandierte Vinyltapete, bekannt unter dem Markennamen „Suprofil“, die heute weltweit Standard in der Tapetenproduktion ist. Vier Jahre später folgte dann die erste Kettfaden-Textil-Kaschierung.
Der Sohn war begeistert von den Möglichkeiten, die die Technik bietet und studierte wie sein Vater Ingenieurwesen, nachdem er im Anschluss an das Abitur seinen Horizont bei Auslandsaufenthalten erweitert und seinen Wehrdienst absolviert hatte. Nach dem Diplom gründete er zunächst in Chicago ein Import-Unternehmen und übernahm den Handel für die Marburger Tapetenfabrik in den USA. Als dies nach etwa einem halben Jahr erfolgreich lief, übergab er die Aufgaben an einen Vertriebler und kam zurück nach Deutschland.
Markenkern Innovationen
In der Heimat machte sich der junge Ingenieur daran, sich um die Hessische Tapetenfabrik (Heta), eine Tochter der Marburger Tapetenfabrik, zu kümmern. Eitel schloss deren Standort Marburg und verlegte die Produktion zur Marburger Tapetenfabrik im nahen Kirchhain. Es war nach seinen Angaben eine spannende und gute Zeit für die Tapete, in der Vater Eitel zusammen mit seinem Sohn durch technischen Fortschritt dem Markt so manche Innovation schenkte.
„Wir waren damals führend in Inline-Produktionsanlangen, die heute Stand der Technik sind: von Rohpapier bis zur fertigen Rolle“, erinnert sich Ullrich Eitel. Auch dem Wechsel vom Leimdruck zu anderen Verfahren wie Tief-, Flexo- und Siebdruck stellte sich das Unternehmen und sorgte damit für weitere Raffinessen. Die Marburger Tapetenfabrik war der erste Hersteller, der Vinyltapeten im Siebdruckverfahren auf den Markt gebracht hat.
Diese Offenheit gegenüber neuen Technologien macht nach wie vor einen großen Teil des Erfolgs der Marburger Tapetenfabrik aus. Eitel, der 1979 und damit drei Jahre nach seinem Eintritt in das Unternehmen die Geschäftsführung übernahm, sieht sich in der Tradition seines Vaters und entwickelte ebenfalls Neuheiten wie die Art Luminaire. Diese Tapete mit leuchtenden Kunststofffasern war die Grundlage für die Weiterentwicklungen „starLED“ und „squareLED“.
Mit „squareLED“ – einer Tapete mit integrierten LED – stattete die Marburger Tapetenfabrik ihren Stand auf der Messe Heimtextil 2020 aus. 40.000 LED-Lampen beeindruckten damals die Besucher. Weiter erfand Eitel die antibakterielle Tapete Keimex sowie eine elektromagnetische Abschirmtapete. „Aber nicht jede Neuentwicklung ist ein Markterfolg“, mahnt der 74-Jährige. „Damit muss man leben.“ Schließlich achte der Käufer einer Tapete vornehmlich auf die Optik, erst dann auf die Technik.
Aktives Tüftler-Gen
Trotz einiger Rückschläge arbeitet Eitel aber unbeirrt weiter an technischen Neuerungen, sein Tüftler-Gen ist aktiv wie eh und je. Es werkelt derzeit an einer Tapete, die über wärmereflektierende Eigenschaften verfügt und so den Heizenergieverbrauch senkt. Sie trägt passenderweise den Namen Celsius. Damit wäre es auch bei einer um zwei Grad Celsius abgesenkten Raumtemperatur immer noch behaglich in den vier Wänden.
„Die technischen Eigenschaften sind nicht sichtbar“, erläutert Eitel und geht deshalb davon aus, dass sich die Tapete am Markt etablieren wird. Darüber hinaus hat er noch ein weiteres Projekt in der Pipeline, für das er derzeit ein Patent anmeldet, will aber nicht verraten, welches. Nur so viel: „Es hat mit Tapete nichts zu tun, sondern ist etwas vollkommen anderes. Es ist einfach in der Handhabung und findet millionenfachen Einsatz.“
Damit erschöpft sich die Kreativität des Preisträgers aber noch lange nicht, denn auch beim Thema Optik ist es ihm gelungen, in Zusammenarbeit mit internationalen Designern wie Zaha Hadid, Luigi Colani, Harald Glööckler und Karim Rashid spektakuläre Entwürfe auf den Markt zu bringen. Darin fühlt er sich seiner Mutter verpflichtet, die in den 1950er Jahren Textil- und Tapetenentwurf in München studierte, bevor sie 1960 in den elterlichen Betrieb eintrat. Ihre Leidenschaft für Kunst wird in den Kollektionen deutlich, die in ihrer Zeit entstanden. Ein Beispiel sind die x-art-Walls, die Hilde Eitel 1972 zur Ausstellung Documenta in Kassel präsentierte.
Die Kollektion enthielt Kunstwände von renommierten Künstlern wie Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle. „Wirtschaftlich waren die x-art-Walls zwar kein Erfolg, aber deren Image strahlt bis in die Gegenwart“, meint Eitel. „Die Tapete als Produkt für den kleinen Mann hatte plötzlich einen Designanspruch und nahm eine eigene Identität an.“ Das wurde vom Markt positiv aufgenommen.
Ein großer Erfolg in jüngster Zeit war die Zusammenarbeit mit dem Mode-Designer Harald Glööckler, aus der bisher drei Kollektionen entstanden sind. In diesem Jahr wird voraussichtlich die letzte Karte des Enfant Terrible der Modeszene präsentiert. Ganz neu ist die Mainzelmännchen-Kollektion im Digitaldruck, wodurch auch kleine Losgrößen hergestellt werden können. „Mit einem weiteren Lizenzgeber sind wir im Gespräch“, verrät Eitel.
Solides Unternehmen
Insgesamt ist der 74-Jährige trotz vieler Widrigkeiten wie steigende Energiekosten und anhaltende Marktverdrängung ganz zufrieden mit der wirtschaftlichen Entwicklung seines Unternehmens. Wie er hervorhebt, befindet sich die Fabrik zu 100 % in Familienbesitz und ist finanziell unabhängig. Von daher überlässt er der nachfolgenden Generation zum Ende des Jahres einen soliden Betrieb. Sohn Paul (26) soll ihn als Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter ablösen, Tochter Constanze (35) verantwortet weiterhin das Objektgeschäft und auch Tochter Katharina (34), die derzeit in Mutterschaft ist, wird das elterliche Unternehmen wieder unterstützen.
„Die Marburger Tapetenfabrik hat auch nach dem Generationswechsel eine Zukunft, aber die Zeit wird schwierig“, warnt Eitel seine Kinder. „Sie müssen den Mut haben, diese Zeit zu überdauern.“ Denn: „Die Tapete wird als Gestaltungsinstrument fortbestehen – vom untersten bis ins oberste Segment.“
Die Zukunft des Unternehmens wird Eitel also nicht mehr aktiv steuern, sondern begleiten und seinen Kindern mit Rat zur Seite stehen. Ansonsten freut er sich darauf, endlich mehr Zeit für seine Frau Kerstin, seine zwei Enkel und seine Hobbys zu haben. „Mir wird nicht langweilig“, ist er überzeugt. Der künftige Ruheständler ist wie schon sein Großvater leidenschaftlicher Jäger und besitzt seit rund 50 Jahren ein eigenes Revier. Zusammen mit seinem Jagdhund Rufus, mit dem er bereits drei wichtige Prüfungen abgelegt hat, will er in Zukunft noch öfter durch die Wälder streifen, ab und an auch mit Sohn Paul. Darüber hinaus ist Eitel Jagdhornbläser, läuft Ski, fährt Fahrrad und verbringt gerne einen Teil seiner Freizeit in seinem Haus auf der Insel Sylt.
Appell an den Verband
Zum 40-jährigen Dienstjubiläum als Chef der Marburger Tapetenfabrik wurde Ullrich Eitel 2016 von seinen Mitarbeitern gefeiert. Sie hatten für ihn eine Plakatwand erstellt.
Wer nun aber meint, Ullrich Eitel kehre der Tapetenbranche den Rücken, irrt gewaltig. Er ist bereits seit mehr als 20 Jahren Vorsitzender des Vereins Deutsches Tapetenmuseums, der in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert. Außerdem sieht er mit Freude der Grundsteinlegung des ersten hessischen Tapetenmuseums in Kassel entgegen, die für Juni geplant ist. „Es ist das erste Museum, das vom Land Hessen nach dem Krieg überhaupt gebaut wird“, sagt Eitel. Ohne seinen nimmermüden Einsatz wäre das Museum, das die Geschichte der Tapete und ihre dekorative Vielfalt präsentieren soll, sicherlich nicht realisiert worden.
Weiter engagiert er sich in der Bertram-Schaefer-Stiftung für die „Sammlung Hilde Eitel – Kunst der Nachkriegsjahre in Europa“. Seine Mutter kaufte ab den 1950er Jahren Kunst, vor allem Druckgrafik aber auch Gemälde und Plastiken. Die Werke sind derzeit im Kunstmuseum Marburg zu sehen.
Zudem hat Eitel noch einen Sitz im Vorstand des Verbandes der Deutschen Tapetenindustrie (VDT). Nur seinen Vorsitz legte er infolge der Verhängung von Geldbußen durch das Kartellamt wegen unerlaubter Preisabsprachen 2017 nieder. Aber Eitel verfolgt die Entwicklung der Organisation, deren Mitglieder A.S. Création und Erismann aufgrund des Kartellamtsverfahrens ausgeschieden waren, weiterhin mit großem Interesse. Sein Wunsch: Alle sollten doch ihre Diskrepanzen überwinden, auch wenn es schwer fällt. „Die kleine Branche muss zusammenhalten“, appelliert Eitel an die wenigen verbliebenen deutschen Tapetenhersteller und macht damit deutlich: Die Tapete wird auch in seinem Ruhestand eine Herzensangelegenheit bleiben.
Cornelia Küsel
Ehrenpreis für das Lebenswerk des Jahres 2023