Heidelberger Polsterei - Innovatives Marketing 2013
Heidelberger Polsterei / Gerling – der Raumausstatter, Eppelheim
Ein Polstersessel auf Weltreise
Ideen muss man haben – das gilt für die Fotokünstler Stefan Sirtl und Julia Müller, die mit einem Polstersessel durch Mittelamerika reisten und darauf Menschen fotografierten. Und das gilt für das Raumausstatter-Ehepaar Klaus und Christel Gerling, die sich spontan bereit erklärten, das Projekt zu unterstützen und dabei auch die mediale Öffentlichkeit für ihren Betrieb zu nutzen. Es ist nicht das erste Mal, dass das Coratex-Mitglied Kunstprojekte fördert, aber es ist bisher sicher die außergewöhnlichste Aktion. Neben viel Aufmerksamkeit hat die anschließende Fotoausstellung gleich einen Großauftrag zur Folge gehabt. Und jetzt hat die Jury der Heidelberger Polsterei auch den Heimtex Star 2013 für „Innovatives Marketing“ zugesprochen.
Ein Polstersessel steht normalerweise für gemütliche Stunden in den eigenen vier Wänden. Ganz anders ein Armsessel mit rotem Polsterbezug aus den 1920er Jahren, genannt „La Silla“, spanisch für Stuhl. Der machte unlängst eine Reise quer durch Mittelamerika, und zwar als Teil des Kunstprojekts „Sientate“, was so viel heißt wie „Setz Dich“. Die beiden Fotokünstler Stefan Sirtl und Julia Müller ließen Menschen auf dem markanten Möbelstück Platz nehmen und machten Portraitaufnahmen von ihnen. Ohne Sponsoren hätten der Promotionsstudent in Physik und die angehende Lehrerin das allerdings nicht geschafft. Einen wichtigen Part übernahm dabei die „Heidelberger Polsterei“ des Raumausstatter-Betriebs Gerling in Eppelheim. La Silla wurde in der hauseigenen Werkstatt präpariert und für die Tour von Panama bis Mexiko fit gemacht.
Christel und Klaus Gerling mit dem Fotokünstler Stefan Sirtl vor der Polsterwerkstatt.
Eines Tages sei eine junge Frau in den Laden gekommen und habe gefragt, ob man einen Sessel vom Sperrmüll reparieren könne, um damit auf Weltreise zu gehen, erzählen Inhaber Klaus Gerling und seine Ehefrau Christel. „Allein die Idee, mit einem Sessel auf Reisen zu gehen, ist so ungewöhnlich, dass uns sofort klar war: Da müssen wir uns engagieren.“ Das Ehepaar ist selbst Initiator von zahlreichen Kulturveranstaltungen und weiß auf der Klaviatur der Öffentlichkeitsarbeit perfekt zu spielen. Die Zugkraft des Projektes für eine PR-Aktion im großen Stil haben sie gleich erkannt und eine Fotoausstellung dazu geplant. Als Sponsor für das rote Polsterkleid des Sessels konnte der Kulmbacher Textilverlag Saum & Viebahn gewonnen werden. Und die Raumausstatter- und Sattlerinnung Rhein-Neckar bezahlte die Flugkosten für den 31 kg schweren Sessel als Sperrgepäck.
Die Raumausstattung Gerling hat im eigenen Wohn- und Geschäftshaus in Randlage der Stadt Eppelheim einen rund 60 m² großen Schauraum mit einem Vollsortiment von der gehobenen Mitte bis hochwertig. Seit der Firmengründung 1986 kommen die Kunden nach Terminvereinbarung in die Peter-Böhm-Straße zur Auswahl von Deko-, Gardinen- und Möbelstoffen, Sonnenschutz, Bodenbelägen und Polsterarbeiten. Der Verzicht auf ein Ladenlokal in der City spart dem Unternehmen hohe Mieten. Allerdings muss die fehlende Präsenz in der Innenstadt kompensiert werden. „Um auf uns aufmerksam zu machen, haben wir schon eine Unmenge recht ausgefallener Marketingaktivitäten durchgeführt“, sagt Klaus Gerling. Offenbar mit Erfolg: Inzwischen habe man einen Bekanntheitsgrad erreicht, der dem von Fachhändlern im Zentrum gleichkomme. Dabei ist der Wettbewerbsdruck im Rhein-Neckar-Raum groß: Im benachbarten Heidelberg sowie in den Städten Weinheim, Mannheim und Schwetzingen gibt es viele starke Möbelhäuser, riesige Baumärkte sowie zahlreiche Fachmärkte und Raumausstatter.
Die Inhaber setzen weniger auf klassisches Marketing. „Wir machen viele PR-Aktionen, die kaum Geld kosten, aber viel Zeit.“ Wenn dann der Firmenname nach einer Veranstaltung in der Zeitung stehe, sei das „extrem imagefördernd“. Auf diese Weise lassen sich Neukunden gewinnen. Die rund 300 Stammkunden werden per Mailing ebenfalls zu solchen Aktionen eingeladen.
„Das sind gut situierte und qualitätsbewusste Konsumenten in der Altersgruppe zwischen 40 und 70. Unsere Zielgruppe interessiert sich für Kultur.“ Daher beteiligen sich Klaus und Christel Gerling zum Beispiel an der Bühnendekoration für eine Theatergruppe, arbeiten in einem Stuhlmuseum mit und veranstalten in Eigenregie Konzerte, Lesungen und Wanderausstellungen. Die Höhe des Werbeetats beläuft sich auf etwa 10.000 EUR. „Das sind 2,5 bis 3 % vom Jahresumsatz“, der auf rund 350.000 EUR beziffert wird.
Der Eppelheimer Raumausstatter beschäftigt drei Vollzeitkräfte und einen Auszubildenden. Das größte Segment sind Polsterarbeiten, die die Hälfte zum Umsatz beisteuern. Die Werkstatt mit Polsterei, Nähatelier und Lager befindet sich in einer 3 km entfernten Halle im Industriegebiet Heidelberg-Pfaffengrund. Vor elf Jahren wurde der Name Heidelberger-Polsterei.de kreiert und ein eigenständiger Internet-Auftritt unter dieser Domain geschaffen. „Weil Polstern ein Kunsthandwerk ist und es uns Spaß macht“, erklärt Klaus Gerling.
Die zweite Webseite „Klaus Gerling – der Raumausstattermeister“ steht für das Heimtextil-Angebot. Gerling will hier vor allem authentisch sein. Die Aufmachung der Firmenwebseite müsse mit dem Erscheinungsbild und Leistungsspektrum des realen Betriebs übereinstimmen. Die Fotokünstlerin Julia Müller war übrigens über die Webseite heidelberger-polsterei.de auf den Betrieb aufmerksam geworden.
Gerling kann bei seinem Außenauftritt auch mit dem qih-Siegel punkten; hier haben ihn seine Kunden mit „sehr gut“ bewertet. Als Mitglied der Initiative Altersgerechtes Wohnen bietet er einen Sonderservice. Und kurz nach Betriebsgründung hat sich der Unternehmer der Coratex angeschlossen: „Darauf fußt ein Teil unseres Erfolgs“, lobt er die Arbeit der Kooperation.
Aber eben auch auf Events wie der Fotoausstellung zum Projekt „Sientate – ein Sessel auf Reisen“. In der Schalterhalle der Heidelberger Sparkasse wurden den Gästen auf 24 großformatigen Bildern die Highlights der Mittelamerika-Tour gezeigt. Zum Auftakt gab es eine Vernissage, zu der nicht nur Kunden eingeladen waren, sondern auch Innungskollegen, die Kreishandwerkerschaft, Bankenvertreter, Lieferanten und Presse. „Wir wollten verschiedene Gruppen zusammenbringen“, sagt Christel Gerling, die von der „sehr schönen Atmosphäre“ bis heute schwärmt. Ein argentinischer Gitarrist hatte den Abend mit passender Musik untermalt. Und der Fotokünstler Stefan Sirtl trug verschiedene Reiseanekdoten per Power Point-Präsentation vor. Anschließend fotografierte der 30-Jährige auch die anwesenden Gäste im roten Polstersessel.
Sientate – ein Sessel auf Reisen: Stefan Sirtl und Julia Müller unterwegs in Mittelamerika.
Die Fotoschau ließ die Vorbereitungen zur Reise und deren Verlauf Revue passieren. Zum Beispiel, wie La Silla in der Polsterwerkstatt von Klaus Gerling innerhalb einer Woche komplett aufgemöbelt wurde. Aus dem Bauch ragten keine Sprungfedern mehr und der abgewetzte orangefarbene Bezug war gegen einen schicken, roten Charmelle-Stoff von Saum & Viebahn ausgetauscht worden. Zum Abschluss verpassten die Reisegefährten dem Sitzmöbel noch Reifen, um es ziehen zu können. Transportiert habe man den wuchtigen Sessel auf vielfältige Weise: mit Seilen festgezurrt auf Bus- und Taxidächern, im Fahrzeuginnenraum, zwischen Hühnern, Koffern und schreienden Kindern oder in einem VW-Käfer mit abgeflextem Dach.
Die Menschen, denen Stefan Sirtl und Julia Müller in Mittelamerika begegneten, waren bei dem Anblick natürlich überrascht. „Aber sie begrüßten uns zumeist mit einem freundlichen Lachen und waren sofort aufgeschlossen, wenn wir von unserem Projekt erzählten“, berichten die beiden Künstler auf ihrer Webseite sientate.de. Hier konnte man die Reise per Mausklick verfolgen.
„Sientate – ein Sessel auf Reisen“ sei „ganz unverhofft“ entstanden, ist dort zu lesen. Während einer Langzeitbelichtung auf der alten Brücke in Heidelberg seien die Menschen stehen geblieben und hätten um ein Foto von sich in dem Sessel gebeten. Die Idee war geboren, auf diese Weise die Vielfalt, Individualität und die sozialen Unterschiede der Menschen darzustellen, ganz ohne sie zu werten. „Unser Projekt soll zeigen, dass wir letztendlich alle auf der Welt im selben Sessel sitzen.“
Das tut es – und dem Sponsor Raumausstatter Gerling hat es wenige Wochen später einen Großauftrag für die Ausstattung eines Wohnhauses gebracht. Die Kundin war als Besucherin auf der Vernissage in Heidelberg.
Innovatives Marketing des Jahres 2013