03.04.2023

Hartmut Urbath (GEV): „Wohngesund ist keine Produkt-Eigenschaft“

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Wohngesundheit zählt derzeit neben Nachhaltigkeit zu den wichtigsten Begriffen der Bodenbranche. Doch was genau ist damit gemeint? Ist Wohngesundheit messbar? Worin bestehen die Tücken bei der Verwendung dieses Schlagwortes? Darüber sprach FussbodenTechnik mit Hartmut Urbath, Vorsitzender des Technischen Beirats der Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe, Klebstoffe und Bauprodukte (GEV).

FussbodenTechnik: Herr Urbath, „wohngesund“ ist ein Begriff, der momentan in aller Munde ist. Was ist darunter zu verstehen?

Hartmut Urbath: Es ist ein relativ neuer Begriff, der allerdings nicht klar definiert ist. Im Zuge der aktuellen Debatte um Nachhaltigkeit und Klimaschutz hat die Verwendung der Schlagworte „wohngesund“ und „Wohngesundheit“ deutlich an Fahrt aufgenommen.

Bei Recherchen im Internet bin ich darauf gestoßen, dass sich Wohngesundheit auf Anforderungen an ein Gebäude bezieht – vor allem im Hinblick auf die Gesundheit dessen Bewohner. Im Vordergrund steht dabei meistens der Umgang mit Schadstoffen und Baumaterialien – auch die klimatische Behaglichkeit und anderes mehr haben einen Einfluss auf die Gesundheit von Nutzern eines Gebäudes. Es gilt, negative Einflüsse zu minimieren und optimale Bedingungen für die Bewohner zu schaffen. Der Fertighausanbieter Viebrockhaus nennt als Bereiche der Wohngesundheit: Luft, Wasser, Licht, Temperatur, Hygiene und Schall. Diese bilden die Bausteine für ein wohngesundes Haus.

Ich sehe die Definition am zutreffendsten, dass man unter Wohngesundheit versteht, ein Haus bewusst so zu gestalten, dass es die Gesundheit der Bewohner nicht schädigt. Gesundes Wohnen heißt: ohne chemische Schadstoffe wie flüchtige organische Verbindungen (VOC) und CO2 aus verbrauchter Atemluft – aber auch ohne Radon; ohne biologische Schadstoffe wie Schimmel durch zu wenig Lüften; ohne physikalische Belastungen wie Elektrosmog und sonstige Faktoren. Wenig Lärm, viel Tageslicht sowie eine subjektiv als angenehm empfundene Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind dabei wichtig. Für ein Wohlfühlklima sollten 18 bis 21° C Lufttemperatur und eine Luftfeuchtigkeit von 40 bis 65 % vorliegen.

FT: Und wie würden Sie persönlich den Begriff „wohngesund“ beschreiben?

Urbath: Ich würde ihn am ehesten so definieren: Wohngesund ist alles, was auf das Wohlbefinden und die Gesundheit eines Menschen einen positiven Einfluss hat. Es ist also wichtig, nicht nur Schadstoffe und Emissionen zu vermeiden, sondern auch zu wenig Licht und zu viel Lärm, weil diese den Menschen ebenfalls krank machen können.

FT: Halten Sie „Wohngesundheit“ wegen der verschiedenen Definitionen für einen problematischen Begriff?

Urbath: Als Techniker habe ich das Problem, dass Wohngesundheit nicht messbar ist. Ich kann Temperatur, Gerüche und Emissionen messen und Grenzwerte festlegen – beim Thema Wohngesundheit gibt es das nicht. Es ist also eine Grauzone. Ich habe zudem keine Quelle gefunden, aus der hervorgeht, dass „wohngesund“ ein geschützter und definierter Begriff ist. Es steht also jedem Marketingleiter frei, diese Bezeichnung so zu interpretieren, dass sie zum jeweiligen Produkt passt.

In den vergangenen zwei Jahren ist mir zudem aufgefallen, dass „ökologisch nachhaltig“ und „wohngesund“ oft als identische Begriffe verwendet werden. Mit „ökologisch“ bezeichnet man aber den Einfluss eines Produkts auf die Umwelt – da sprechen wir zum Beispiel über den CO2-Fußabdruck. Bei der Wohngesundheit sprechen wir hingegen über den Innenraum. Natürlich sind emissionsarme Produkte nachhaltig, aber es ist zu kurz gesprungen, wenn man sagt: Ökologisch ist wohngesund. Parkett – wie Holz allgemein – ist einer der nachhaltigsten Baustoffe, der sogar CO2 speichert. Aber frisches Holz kann entsprechend riechen, das kennen wir vor allem von neuen Möbeln. Und auch nicht schädliche Gerüche können das Wohlbefinden der Bewohner beeinträchtigen, wenn sie dauerhaft auftreten.

FT: Oft bewerben Hersteller ihre Produkte als wohngesund. Wodurch zeichnen sich diese aus?

Urbath: Ein wohngesundes Produkt kann es meiner Meinung nach nicht geben. Alle genannten Definitionen haben gemeinsam, dass es sich bei ihnen um Anforderungen an ein Wohngebäude oder um die Beschreibung eines Gebäudezustands handelt. Wohngesund ist also eine Gebäude- und keine Produkt-Eigenschaft. Es gibt aber Produkte, die dazu beitragen, dass ein gesundes Wohnen im Innenraum möglich ist.

Es existiert allerdings nicht der eine Weg zur Wohngesundheit oder zum gesunden Wohnen, sondern es ist immer eine Vielzahl an Maßnahmen notwendig. Die individuelle Situation des Bewohners des Gebäudes spielt eine gewichtige Rolle. Bei der Errichtung eines wohngesunden Hauses für einen Allergiker ist die Messlatte der Anforderungen wesentlich höher als bei jemandem, der dieses gesundheitliche Problem nicht hat. Gleiches gilt zum Beispiel bei Seniorenheimen oder Kindertagesstätten. Die eine Wohngesundheit, die auf alle passt, gibt es nicht.

FT: Welche Bauprodukte können gesundes Wohnen beeinflussen?

Urbath: Bodenbeläge, Spachtelmassen, Grundierungen und Klebstoffe können flüchtige Stoffe an die Raumluft abgeben. Bei diesen Produkten spielen also die Emissionen die entscheidende Rolle. Daher legen die Hersteller Wert darauf, besonders emissionsarme Produkte anzubieten, um so zur Wohngesundheit beizutragen.

Aber nicht nur Bauprodukte beeinflussen die Wohngesundheit, sondern auch Möbel. Ein Tisch oder Schrank kann Gerüche und flüchtige Stoffe emittieren, wenn er neu ist. Alles im Raum muss zusammenpassen. Das ausreichende Vorhandensein von Fenstern ist wichtig. Auch das radioaktive Edelgas Radon, das sich im Untergrund befinden kann, hat negative Auswirkungen auf die Wohngesundheit. Gerade in bestimmten Regionen Ostdeutschlands ist Radon ein größeres Problem. Dort muss unter der Bodenplatte gegen Radon abgedichtet werden, damit es nicht in den Innenraum eindringt.

Zudem trägt das Nutzerverhalten stark dazu bei, ob jemand gesund wohnt oder nicht. Die Bewohner müssen genügend lüften. In der Raumluft sollte sich kein CO2 aus der Atemluft anreichern. Es gilt, die Luftfeuchtigkeit, die beispielsweise beim Kochen und Duschen entsteht, abzutransportieren. Ansonsten bildet sich Schimmel.

FT: Können Bauprodukte neben geringen Emissionen noch weitere Eigenschaften aufweisen, die gesundes Wohnen begünstigen?

Urbath: Ich habe vor einigen Jahren auf der Messe BAU Putze für die Wand gesehen, die Inhaltsstoffe besaßen, die schädliche Substanzen aus der Raumluft binden und abbauen konnten. Durch die Poren im Putz dringt Luft gut ein, das poröse Material eignet sich ideal als Speicher – was allerdings nicht funktioniert, wenn man die Wand später tapeziert oder streicht. Zu diesem Thema habe ich in den vergangenen Jahren aber nichts mehr gehört.

FT: Wie kann ein Handwerker erkennen, welche Produkte zur Wohngesundheit beitragen?

Urbath: Hilfe bieten Umweltzeichen, die sich auf das Emissionsverhalten von Baustoffen beziehen. Dazu gehören Emicode, Blauer Engel, Eurofins Indoor Air Comfort, Eco-Institut-Label, Natureplus und die Bewertung des Sentinel Haus Instituts (SHI).

FT: Wie zahlt die GEV mit ihrer Arbeit auf das Thema Wohngesundheit ein?

Urbath: Unser Umweltlabel Emicode kennzeichnet besonders emissionsarme Produkte. Diese eignen sich also optimal für ein gesundes Wohnen. Wir beobachten zudem die Eintragungen auf der REACH-Kandidatenliste, auf der besonders besorgniserregende Stoffe aufgeführt werden. Diese stehen im Verdacht, besonders negative und langanhaltende Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit sowie die Umwelt zu haben. Das Verbot von diesen kritischen Stoffen in Emicode-zertifizierten Produkten ist eindeutig geregelt. Somit prüfen wir auch ständig, ob wir unsere Kriterien für die Emicode-Zertfizierung verschärfen müssen. Zu unseren Kernkompetenzen zählen Produktprüfungen, Schadstoffvermeidung und Emissionsverminderung.

Wir behalten es uns vor, dass auf Produktverpackungen neben dem Emicode nur andere Umweltzeichen abgebildet werden dürfen, denen eine wissenschaftlich fundierte Messmethode zugrunde liegt. Eine jeweilige Entscheidung darüber liegt beim Vorstand der GEV. Dies ist etwa beim französischen VOC-Label oder dem Nordic Swan aus Skandinavien der Fall.

Hartmut Urbath – zur Person:

Der 62-jährige Diplom-Chemieingenieur Hartmut Urbath ist Vorsitzender des Technischen Beirats der Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe, Klebstoffe und Bauprodukte (GEV). Seit 2009 engagiert er sich als Mitglied und seit 2019 als Vorsitzender des Technischen Beirats der GEV.

Im Juni 1989 begann Urbath seine Karriere in der Thomsit-Produktentwicklung, die damals noch zu Henkel gehörte. Bis Dezember 2016 bekleidete er verschiedene Funktionen in Entwicklung und Anwendungstechnik für die Bereiche Boden, keramische Fliese und allgemeine Bauchemie. Seit Januar 2017 ist er Leiter Technical Sales Management Thomsit bei der PCI Gruppe. Damit zeichnet Hartmut Urbath für den technischen Kundenservice, Schulungen, Technisches Business Development und Verbandstätigkeiten im Bereich Fußbodentechnik Europa verantwortlich.

Von Sebastian Musolf

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 Hartmut Urbath (GEV): „Wohngesund ist keine Produkt-Eigenschaft“
Foto/Grafik: GEV / Iris Pohl
Wohngesund ist alles, was auf das Wohlbefinden und die Gesundheit eines Menschen einen positiven Einfluss hat – diese Definition bevorzugt Interviewpartner Hartmut Urbath, der Vorsitzende des Technischen Beirats der GEV.
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Beim Thema Wohngesundheit ist wichtig, nicht nur Schadstoffe und Emissionen zu vermeiden, sondern auch zu wenig Licht und zu viel Lärm, weil diese den Menschen ebenfalls krank machen können.
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Bodenbeläge, Spachtelmassen, Grundierungen und Klebstoffe können flüchtige Stoffe an die Raumluft abgeben. Daher legen die Hersteller Wert darauf, besonders emissionsarme Produkte anzubieten.
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Das Nutzerverhalten trägt stark dazu bei, ob jemand gesund wohnt oder nicht. Die Bewohner müssen genügend lüften. Es gilt, die Luftfeuchtigkeit, die beispielsweise beim Kochen und Duschen entsteht, abzutransportieren – ansonsten bildet sich Schimmel.
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Das Umweltlabel Emicode der GEV kennzeichnet besonders emissionsarme Produkte: Diese eignen sich also optimal für ein gesundes Wohnen.
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Für ein Wohlfühlklima sollten in Innenräumen 18 bis 21° C Lufttemperatur und eine Luftfeuchtigkeit von 40 bis 65 % vorliegen. In Schlafzimmern kann die Temperatur etwas niedriger ausfallen.
 Hartmut Urbath (GEV): „Wohngesund ist keine Produkt-Eigenschaft“
Foto/Grafik: PCI Augsburg GmbH
Hartmut Urbath

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